Von der Kraft der schöpferischen Erneuerung Plädoyer für eine unternehmerische Gesellschaft
The emergence of an entrepreneurial society may be a major turning point in history. Peter Drucker Innovation and Entrepreneurship, 1985
Als ich vor gut zwanzig Jahren Peter Druckers bahnbrechen- des Buch „Innovation und Entrepreneurship“ (s. hier) las, hat mich die klare Verknüpfung von Innovation und Unternehmertum tief beeindruckt. Daran erinnere ich mich noch heute sehr gut. Meine Überraschung war jedoch groß, als ich nach Lektüre der eigentlichen „technischen“ Abschnitte auf das Abschlusskapitel stieß. Dieses letzte Kapitel hieß: „The Entrepreneurial Society“
Hier bewegte sich Drucker in der für ihn so charakteris- tischen Weise von der instrumentellen Management- Ebene auf die gesellschaftliche Ebene. Und was er dort zeigt, sollte aufhorchen lassen:
„They (innovation & entrepreneurship) promise to keep any society, economy, industry, public service, or business flexible and self-renewing“.
Die Überzeugung, dass Unternehmer die treibende Kraft im Kapitalismus seien, hat Drucker von seinem Mentor Schumpeter übernommen und zu seinem eigenen Cre- do erhoben. Tatsächlich sind Unternehmer diejenigen, die durch Risikobereitschaft, Kreativität und Dynamik die Wirtschaft von Innovationszyklus zu Innovationszyklus treiben. Dass es dabei immer wieder zu Brüchen kommt, steht außer Zweifel: Das, was Schumpeter „kreative Zer- störung“ nannte, stellt heute der große Management- Denker der Harvard Business School, Clayton Christensen in den Fokus seiner Forschung: Disruption und disruptive Innovation wie zuletzt im HBR so treffend dargestellt, s. hier. Die Drucker‘sche Vorstellung einer „unternehmerischen Gesellschaft“ geht jedoch noch einen Schritt über Schum- peter und Christensen hinaus:
Eine Gesellschaft, die den Unternehmergeist fördert, öffnet das Denken und lässt Neues zu.
Innovation und Unternehmertum beschränken sich nämlich nicht auf die großen, disruptiven Veränderungen – sie umfassen auch die kleinen, aber bedeutsamen Ver- besserungen bestehender Produkte, Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle. Inkrementelle Innovationen bedeuten weniger Risiko, allerdings bedürfen auch sie eines kritischen, wachen Verstandes, der Chance zur Ver- besserung erkennt und damit erhebliche Werte für Unternehmen und Gesellschaft schafft.
Und gerade aus diesen kleinen Schritten entstehen immer wieder große, unerwartete Durchbrüche. Tatsächlich ist etwa „Serendipity“ (zu dt.: zufällige Entdeckung) – hier geht es um kreatives, menschliches Potential weitab von logischen Abläufen und Algorithmen – eines der großen Gebiete, auf die im Zuge der Diskussion über die Automatisierung von Arbeitsschritten und die Aus- lagerung von Arbeiten an Computer schlicht vergessen wurde. Selbst wenn der öffentliche Bereich durch inhärente Bürokratie und gesetzgeberische Rahmen- bedingungen kein Hort der Innovation ist, so sind inkrementelle Innovationsschritte dennoch immer wieder möglich.
Natürlich muss man sich die kritische Frage gefallen lassen, ob die Vorstellung einer von Unternehmergeist und einer „neuen Offenheit“ durchdrungene Gesellschaft nicht von Wunschdenken getrieben ist. Geschieht derzeit nicht das genaue Gegenteil? Scheinen nicht Risikoscheue und eine geradezu erdrückende Bürokratie täglich zu- zunehmen? Der Wunsch der Bürokraten, Mikromanage- ment zu kultivieren – bis hin zur legendären Krümmung der Banane – ist tief im Denken des Industriezeitalters verankert. Länder wie Frankreich wenden das innova- tionsfeindliche Vorsichtsprinzip nicht nur an, sondern haben es sogar in den Rang eines Verfassungsgesetzes erhoben. Ist es nicht so, dass dirigistische Maßnahmen in erhöhtem Maß die Märkte verzerren, um vorbei an Preis- und Marktlogik ideologische Ziele zu erzwingen? Gut gemeinte Maßnahmen werden top-down verordnet und zeitigen mehr unerwünschte Folgen als gewünschte Ergebnisse – Stichwort Energiewende. Denker wie Jeremy Rifkin streben mit planwirtschaftlicher Ideologie die „dritte industrielle Revolution“ an (wie er sie nennt) und werden von Politikern als Gurus gefeiert. Zeiten des Wandels sind keine Ausnahme; seit der industriellen Revolution sind sie die Regel. Allerdings verleiht die exponentielle Entwicklung der digitalen Technologie dem derzeitigen Wandel einen besonderen Charakter.
Die stürmische Entwicklung der digitalen Techno- logien erhöht freilich die Chancen der Ausbreitung unter- nehmerischen Denkens und Handelns. Die Kombination menschlicher Kreativität und Erfindungskraft mit der exponentiellen Entwicklung der neuen Technologien eröffnet neue Felder mit gewaltigem Potenzial – von der Verbesserung von Prozessabläufen über die Transformation des Unternehmens bis hin zu neuen Geschäftsmodellen. Dazu kommt, dass die Einstiegsschwellen ins High-Tech Unternehmertum nie niedriger waren. Der Zugang zu Internet-basierten Diensten macht es möglich – denken wir nur an Software As A Service, Cloud Computing, Open Innovation Platforms, etc.
Wie können wir da das von Peter Drucker immer wieder beschworene Spannungsfeld von Kontinuität und Verände- rung bewältigen?
Blutige Revolutionen sind nicht die Antwort, die wir uns wünschen – die Balance zwischen vorhandenen Stärken und neuen Möglichkeiten ist allerdings schwer zu finden. Hier sind Management und Führungsqualität gefragt: Tatsäch- lich bieten uns die Management-Lehre und die fortschritt- liche Praxis neue Ansätze, die ernst genommen werden müssen ohne auf den Hype des Tages hineinzufallen.
Ausgehend von der Software Entwicklung und basierend auf dem „Agile Manifesto“ hat sich eine Vielzahl adaptiver Management-Methoden entwickelt, die neue Antworten auf die drängende Umweltdynamik entwickeltn und die starren und bürokratischen internen Arbeitsprozesse zu überwinden suchen. So hat etwa Jeff Sutherland mit „Scrum“ ein Rahmenwerk für das Management von komplexen Projekten geschaffen, das wiederum von Autoren wie Steve Denning als neue Management- Philosophie angepriesen wird. „Design Thinking“ fördert Prototyping und schneller Lernzyklen, die die alte unter- nehmerische Planwirtschaft abzulösen suchen.
Unternehmerpersönlichkeiten wie Hasso Plattner haben zur Verbreitung dieses Denkens erheblich beigetragen – Stichwort: Stanford D-School. Die Startup-Szene wurde duch die Aglilitäts-basierten Ideen des Lean Start-up belebt – mit herausragenden Figuren wie Eric Ries und Steve Blank. Diese haben jedoch nicht bei Unternehmens- gründungen haltgemacht. Sie dringen in jene Groß- strukturen vor, wo Unternehmen wie GE und Amazon (trotz aller berechtigter Kritik an überzogenen Perfomance Management-Praktiken) ernsthaft an einer neuen Form von „Beidhändigkeit“ arbeiten: gemeint ist die Fähigkeit, nicht nur das bestehende Geschäft mit operativer Exzellenz abzuwickeln, sondern auch Innovations-Zellen zu schaffen, die nicht sofort von der bestehenden Unternehmensbürokratie erdrückt werden. Denker der jungen Generation wie Alexander Osterwalder liefern konkrete Umsetzungsinstrumente für diese neuen Konzepte, die im Unternehmensalltag breit- flächig eingesetzt werden können – Stichwort: Business Model Canvas.
Allesamt Ideen und Methoden, die auf Agilität, Flexibilität und kontinuierlicher Anpassungsfähigkeit setzen. Sie dienen dazu, eine digitale Transformationsideologie zu verhindern, die alte Prozess-Strukturen automatisiert und verfestigt.
Wie hat es Drucker so schön formuliert?
„There is nothing so useless as doing efficiently what should not be done at all.”
Um Kontinuität und Wandel zu stärken, darf natürlich auch auf vorhandene Atouts wie die Stärke und Vitalität des deutschen Mittelstandes nicht vergessen werden. Aller- dings lauert auch hier die Gefahr, sich in den Erfolgen der Vergangenheit zu sonnen und damit die nächste Innova- tionswelle zu verpassen. Wir befinden uns somit in einem Spannungsfeld, das es zu gestalten gilt. Und es ist gut zu wissen, dass wir hier nicht mit Naturgesetzen konfrontiert sind, sondern mit dem, was Peter Drucker „gesellschaftli- che Ökologie“ nannte: ein von Menschenhand gestaltetes institutionelles und organisatorisches Umfeld, das den Rahmen für unser Handeln und Unterlassen darstellt.
Die junge Generation hat diesen notwendigen Übergang bereits antizipiert – bekanntlich hat die Generation Y wenig Ambitionen, in traditionellen bürokratische Hierarchie zu arbeiten: Sie sucht nach Lernerfahrungen, die der Gestaltung eines flexiblen und als sinnvoll empfundenen Berufsweges dienen. Dass es dabei auch zu einer Neu- gestaltung des Gesellschaftsvertrages kommen muss, der die Pönalisierung von selbständiger Tätigkeit gegenüber traditionellen Angestellten-Verhältnissen beseitigt, liegt auf der Hand. Allerdings wird dies auch erhebliche Innovationsfähigkeit der Politik erfordern, wo die Welle der „Uberisierung“ den Mangel an Antizipation und Anpas- sungsfähigkeit bloßgelegt hat.
Fazit:
Die Zukunft ist offen – wir haben sie zu gestalten. Was wir bereits sehen, sind große und wichtige Initiativen, die gewaltige Energien bündeln und somit Katalysatoren für neue Entwicklungen darstellen können. Ich denke etwa an das Startup-Fest Europe unter der niederländischen EU- Präsidentschaft; an das Pioneers Festival in Wien sowie an unser eigenes Drucker Forum im November 2016, das sich genau diesen Fragestellungen widmen wird.
Unternehmerischen Denken und Handeln hat eine tiefe Verankerung in der menschlichen Natur, die mit Eigen- ständigkeit, Würde und Kreativität zu tun hat. Auch unsere demokratischen Grundwerte sind in einer Gesellschaft besser vertreten, in der nicht Ideologie, Zwangsbeglückung und Denkverbote dominieren, sondern Offenheit, kritisches Denken, Pragmatismus und sinnvoller Umgang mit Risiko. Ich plädiere daher mit Nachdruck für Druckers Idee einer „Unternehmerischen Gesellschaft“ als positive Vision für die Zukunft einer Menschen-orientierten Marktwirtschaft.
Vielleicht können wir mit „schöpferische Erneuerung“ die martialischen Töne von kreativer Zerstörung und Disruption überwinden und dabei eine Geisteshaltung entwickeln in der Kontinuität und Wandel Vorrang vor den von Peter Drucker immer verabscheuten blutigen Revolutionen hat.